Nachdem gestern Abend in der ARD der Spielfilm „Rommel“ mit Ulrich Tukur lief, erschienen heute in den Onlineausgaben von Zeit und Stern zwei Artikel, die eine ähnliche Kritik an der zu sympathischen fiktionalen Darstellung von Nazigrößen vornehmen.
Ich
nehme diese Artikel und die aktuelle Debatte zum Anlass, ein paar
Gedanken zu diesem Thema zu äußern, die mich schon lange
beschäftigen.
Warum
ich gegen die dramatisierte Darstellung von historischen Nazitätern
im fiktionalen Film bin.
Selbstverständlich
spricht erst mal nichts dagegen, sich mit historischen Ereignissen,
Personen und Fakten filmisch auseinander zu setzten.
Der
Grat zwischen Fiktion und Wirklichkeit wird hier jedoch mitunter sehr
schmal, zu schmal, wie sich immer wieder (nicht nur) im deutschen
Film zeigt.
Im
beliebten „Nazizeit-Drama“ wird zum Einen mit der – egal wie
„faktisch korrekten“ – fiktionalen Anordnung vom historischen
Elementen eine Wahrhaftigkeit geschaffen, die für den Zuschauern
schwer von der – niemals abschließend nachzuvollziehenden
historischen Wahrheit – zu trennen ist. Wenn „Nico
Hofmann, der Produzent des Films, erwartet, dass Tukurs Rommel das
Bild des Feldmarschalls auf Jahre prägen wird“ (STERN), meint er
damit sicherlich etwas anderes als das, was jedoch ganz automatisch
geschieht: jeder Zuschauer denkt beim Stichwort Hitler auch an Bruno
Ganz, bei Che Guevara an Gael Garcia Bernal oder Benicio del Toro und
bei Rommel eben nun „auf Jahre“ an Tukur und seine Darstellung.
Jede Geste wird so, verstärkt noch durch die Behauptung „historische
Korrektheit“ und u.U. durch die Vermischung von fiktionalen und
dokumentarischen Verfahren (Der Untergang, Speer & Er) zur
historischen Gewissheit überhöht – ein Umstand, den kein Film für
sich in Anspruch nehmen sollte. Erst recht nicht einer, der auf so
sensiblem Gebiet agiert, wie Filme über Nazigrößen.
Dieser
Umstand ist bei der Darstellung realer Figuren – egal wie „harmlos“
sie sind – immer ein Problem, das viel Fingerspitzengefühl
verlangt, und dem man sich vielleicht nur durch absolute
Überspitzung der Darstellung und eindeutiger „Fiktionalisierung
und Interpretation“ der Figur entziehen kann (wie es beispielsweise
Todd Haynes mit Bob Dylan in „I'm not there“ tut).
Bei der Darstellung von
Personen, die historisch erwiesenermaßen eine Schuld tragen, kommt
allerdings eine schwerwiegende Komponente hinzu: kann man bei einer
Figur wie Che Guevara oder den Mitgliedern der RAF vielleicht sogar
noch darüber streiten, ob sie nicht mit ihrem Anliegen moralisch
richtig lagen und nur die falschen, unmoralischen Mittel gewählt
haben, ist bei Figuren des dritten Reichs eine solche Debatte nicht
möglich, hier liegt nicht nur eine „doppelte“ Schuld (Anspruch
und Umsetzung) vor, die Schwere des Verbrechens, für das sie
verantwortlich und an dem sie beteiligt waren, ist so groß, dass im
Sinne einer gesellschaftlichen Verantwortung keine Legitimation ihrer
Taten und ihrer Person erfolgen darf.
Dass
ein Film zustande kommen kann, der ernsthaft versucht, die „äußeren“
Taten der Nazis (Krieg, Holocaust, Völkermord) zu relativieren, ist
(zumindest) in Deutschland nicht nur moralisch sondern auch
gesetzlich ausgeschlossen.
Umso
problematischer jedoch, dass bei der Darstellung von
Nazipersönlichkeiten, wie sie spätestens seit dem „Untergang“
im deutschen Film oder Fernsehen zu beobachten ist, eine ungewollte,
aber durch die Wahl der – dem klassischen Spielfilm immanenten –
Mittel (Fiktionalisierung, Dramatisierung, klassische Filmfigur,
Bedienung von Seh- und Rezeptionsgewohnheiten) bedingte moralische
„Entlastung“ der „inneren“ Taten der dargestellten Figuren
stattfindet.
Als
ich mit Anfang zwanzig das erste Mal „Der Untergang“ gesehen
habe, war ich fasziniert von Bruno Ganz' menschlicher Darstellung des
Hitlers. Und ich war betäubt davon, dieses Gefühl gehabt zu haben,
ich war erschüttert von der empfundenen Möglichkeit, selbst einer solchen Verführung
erliegen zu können.
Dieser
Aspekt war damals für mich das Argument für den Film:
niemals zu vergessen, dass es sich bei den Nazitätern eben nicht um
mystische Monsterwesen sondern um „ganz normale“ Menschen
gehandelt hat und somit eine innere Abgrenzung zwischen ihnen und
mir, mit meiner vermeintlichen Erhabenheit über die Wirkung von
Verlockung, Verblendung und Verführung unmöglich war. Die
Erkenntnis, die von dem Film ausging, dass so etwas „ganz normalen“
Menschen passiert ist und somit auch unserer ganz „normalen“
Gesellschaft widerfahren kann, schien mir Wert und Legitimation
gleichzeitig zu sein.
Die
gesellschaftliche Verantwortung, die sich daraus ergibt, halte ich
nach wie vor für eine der wichtigsten, der wir uns täglich erneut
zu stellen haben. Sowohl im Hinblick auf die Geschichte, als auch mit
Perspektive auf unsere Zukunft, beispielsweise angesichts zunehmender
Renationalisierung, ausgelöst durch die Finanzkrise oder rechten
Terrorzellen.
Dennoch
greift dies als Legitimationsgrund für einen dramatischen,
fiktionalen Film über Nazigrößen oder andere Verbrecher der
Geschichte zu kurz, denn hinter dem beschriebenen Erkenntnisgewinn
über die eigene Schwäche läuft ein zweiter psychologischer
Prozess.
Es
geht dabei nicht darum, ob Rommel, Hitler, Che Guevara vordergründig
„zu nett“ (STERN) oder zu „sympatisch“ (ZEIT) rüberkommen
oder gezeigt werden (oder gar die Frage, ob sie es vielleicht
wirklich waren), sondern darum, dass jeder menschliche Zwiespalt, in
den ein konventioneller Film seine Protagonisten aufgrund seiner
dramaturgischen Wesensart zwangsläufig führen muss, jede emotionale
Ambivalenz und innere Widersprüchlichkeit dazu beiträgt, dass die
Figuren vom Zuschauer emotional Stück für Stück von ihrer
(historischen) Schuld freigesprochen werden – sie haben die Dinge
ja gar nicht als „böse Menschen“ getan. Soziologisch und
psychologisch sind das grundsätzlich sicherlich richtige und
spannende Gesichtspunkte (auch oder gerade für filmische
Bearbeitung), in Anbetracht der historischen Schuld realer
Figuren dennoch brandgefährlich.
Wir
neigen dazu, demjenigen zu vergeben, der uns sein menschliches
Gesicht zeigt. Zumindest fällt es schwerer, ihn zu verurteilen, wenn
man in Zwiespälte, Motivik und Menschlichkeit blicken kann.
Sich
während der Szene des „Untergang“, in der Hitler wie ein
zufriedener Großvater die Goebbelskinder auf dem Schoß hat und sich
von ihnen vorsingen lässt, in Erinnerung zu rufen, dass dieser Mann
für den Tod von 6 Millionen Juden verantwortlich ist, wird
angesichts der Identifikation und Empathie, die in der Rezeption
eines dramatischen Films unausweichlich einsetzen sowie der
emotionalen Entlastung, die die Figur „Hitler“ in diesem Moment
erfährt (wenn überhaupt) nur in einem aktiven, rationalen Prozess
geschehen können, der nicht mehr automatisch und emotional abläuft,
sondern eine Willensanstrengung bedeutet. Der Akt der inneren
Abgrenzung kann (für den Moment) nicht mehr gefühlt, sondern
höchstens noch „erdacht“ werden. Hier liegt für mich die größte
Gefahr, die mit der fiktiven Annäherung an historisch reale Täter
verbunden ist.
Da
sich ein dramatischer Film naturgegeben (wie differenziert oder undifferenziert
auch immer) mit der Innenwelt seiner Figuren auseinandersetzt,
entsteht hier eine irrationale gefühlte Entschuldung, die
zwar dem, was eine historische Person empfunden haben mag und was von
Biografen und Historikern auch so benannt werden darf, durchaus
nahekommen kann, im von Grund aus empathischen Medium Film jedoch die
grundsätzlich falsche „gefühlte Moral“ erzeugt, die in der
empathischen und ausschnitthaften Darstellung des Films einer
Absolution gleichkommt. Einer Absolution für Menschen, die keine
Absolution erhalten können und in unserer Gesellschaft auch niemals
erhalten dürfen.
Eine
– wenn auch nur (unbewusst?) gefühlte – Vergebung, Relativierung
oder ein Verständnis darf es in diesem Zusammenhang niemals geben.
Lieber muss der Prozess der Vergegenwärtigung des Umstands, dass es
sich bei den Nazis um „ganz normale“ Menschen gehandelt hat ein
bewusster, rationaler bleiben, als dass eine Gesellschaft beginnt,
den Tätern „emotional“ zu vergeben, weil ihnen der Bildschirm
oder die Leinwand zu oft das menschliche Gesicht (hier ja tatsächlich
das Gesicht von Schauspielern, zu denen ohnehin aus anderen
Zusammenhängen eine Sympathie bestehen kann) zeigt.
Eine
moralisch richtige Darstellung zeitgeschichtlicher (Nazi-)Verbrecher
als Hauptfiguren kann es daher nur abseits dramaturgisch genormter,
mit Empathie, Identifikation und Fiktionalisierung arbeitender
Spielfilme geben.
Das Widerliche ist ja, dass das „Böse” in diesen Bio-Dramen sozusagen zur Veredelung zum Einsatz kommt, mit Nougat im Abgang. Aus dem Abgrund unserer Geschichte wird Besitz, wird Konfekt, das man weltweit verkaufen kann. Grundsätzlich glaube ich kann man alles filmen, auch Täter-Biografien. Aber dafür müsste man andere ästhetische Entscheidungen treffen. Und die wären notwendig unpopulär. Christoph
AntwortenLöschenUnpopulär und daher im deutschen Fernsehsinne unfunktional. Das ist aber in diesem Zusammenhang nicht nur schade, sondern auch äußerst problematisch. Der kleinste gemeinsame dramaturgische Nenner ist hier eben fatal.
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