Freitag, 2. November 2012

Absolution?


Nachdem gestern Abend in der ARD der Spielfilm „Rommel“ mit Ulrich Tukur lief, erschienen heute in den Onlineausgaben von Zeit und Stern zwei Artikel, die eine ähnliche Kritik an der zu sympathischen fiktionalen Darstellung von Nazigrößen vornehmen.

Ich nehme diese Artikel und die aktuelle Debatte zum Anlass, ein paar Gedanken zu diesem Thema zu äußern, die mich schon lange beschäftigen.


Warum ich gegen die dramatisierte Darstellung von historischen Nazitätern im fiktionalen Film bin.

Selbstverständlich spricht erst mal nichts dagegen, sich mit historischen Ereignissen, Personen und Fakten filmisch auseinander zu setzten.
Der Grat zwischen Fiktion und Wirklichkeit wird hier jedoch mitunter sehr schmal, zu schmal, wie sich immer wieder (nicht nur) im deutschen Film zeigt.

Im beliebten „Nazizeit-Drama“ wird zum Einen mit der – egal wie „faktisch korrekten“ – fiktionalen Anordnung vom historischen Elementen eine Wahrhaftigkeit geschaffen, die für den Zuschauern schwer von der – niemals abschließend nachzuvollziehenden historischen Wahrheit – zu trennen ist. Wenn „Nico Hofmann, der Produzent des Films, erwartet, dass Tukurs Rommel das Bild des Feldmarschalls auf Jahre prägen wird“ (STERN), meint er damit sicherlich etwas anderes als das, was jedoch ganz automatisch geschieht: jeder Zuschauer denkt beim Stichwort Hitler auch an Bruno Ganz, bei Che Guevara an Gael Garcia Bernal oder Benicio del Toro und bei Rommel eben nun „auf Jahre“ an Tukur und seine Darstellung. Jede Geste wird so, verstärkt noch durch die Behauptung „historische Korrektheit“ und u.U. durch die Vermischung von fiktionalen und dokumentarischen Verfahren (Der Untergang, Speer & Er) zur historischen Gewissheit überhöht – ein Umstand, den kein Film für sich in Anspruch nehmen sollte. Erst recht nicht einer, der auf so sensiblem Gebiet agiert, wie Filme über Nazigrößen.

Dieser Umstand ist bei der Darstellung realer Figuren – egal wie „harmlos“ sie sind – immer ein Problem, das viel Fingerspitzengefühl verlangt, und dem man sich vielleicht nur durch absolute Überspitzung der Darstellung und eindeutiger „Fiktionalisierung und Interpretation“ der Figur entziehen kann (wie es beispielsweise Todd Haynes mit Bob Dylan in „I'm not there“ tut). 
Bei der Darstellung von Personen, die historisch erwiesenermaßen eine Schuld tragen, kommt allerdings eine schwerwiegende Komponente hinzu: kann man bei einer Figur wie Che Guevara oder den Mitgliedern der RAF vielleicht sogar noch darüber streiten, ob sie nicht mit ihrem Anliegen moralisch richtig lagen und nur die falschen, unmoralischen Mittel gewählt haben, ist bei Figuren des dritten Reichs eine solche Debatte nicht möglich, hier liegt nicht nur eine „doppelte“ Schuld (Anspruch und Umsetzung) vor, die Schwere des Verbrechens, für das sie verantwortlich und an dem sie beteiligt waren, ist so groß, dass im Sinne einer gesellschaftlichen Verantwortung keine Legitimation ihrer Taten und ihrer Person erfolgen darf.

Dass ein Film zustande kommen kann, der ernsthaft versucht, die „äußeren“ Taten der Nazis (Krieg, Holocaust, Völkermord) zu relativieren, ist (zumindest) in Deutschland nicht nur moralisch sondern auch gesetzlich ausgeschlossen.
Umso problematischer jedoch, dass bei der Darstellung von Nazipersönlichkeiten, wie sie spätestens seit dem „Untergang“ im deutschen Film oder Fernsehen zu beobachten ist, eine ungewollte, aber durch die Wahl der – dem klassischen Spielfilm immanenten – Mittel (Fiktionalisierung, Dramatisierung, klassische Filmfigur, Bedienung von Seh- und Rezeptionsgewohnheiten) bedingte moralische „Entlastung“ der „inneren“ Taten der dargestellten Figuren stattfindet.
Als ich mit Anfang zwanzig das erste Mal „Der Untergang“ gesehen habe, war ich fasziniert von Bruno Ganz' menschlicher Darstellung des Hitlers. Und ich war betäubt davon, dieses Gefühl gehabt zu haben, ich war erschüttert von der empfundenen Möglichkeit, selbst einer solchen Verführung erliegen zu können.
Dieser Aspekt war damals für mich das Argument für den Film: niemals zu vergessen, dass es sich bei den Nazitätern eben nicht um mystische Monsterwesen sondern um „ganz normale“ Menschen gehandelt hat und somit eine innere Abgrenzung zwischen ihnen und mir, mit meiner vermeintlichen Erhabenheit über die Wirkung von Verlockung, Verblendung und Verführung unmöglich war. Die Erkenntnis, die von dem Film ausging, dass so etwas „ganz normalen“ Menschen passiert ist und somit auch unserer ganz „normalen“ Gesellschaft widerfahren kann, schien mir Wert und Legitimation gleichzeitig zu sein.
Die gesellschaftliche Verantwortung, die sich daraus ergibt, halte ich nach wie vor für eine der wichtigsten, der wir uns täglich erneut zu stellen haben. Sowohl im Hinblick auf die Geschichte, als auch mit Perspektive auf unsere Zukunft, beispielsweise angesichts zunehmender Renationalisierung, ausgelöst durch die Finanzkrise oder rechten Terrorzellen.

Dennoch greift dies als Legitimationsgrund für einen dramatischen, fiktionalen Film über Nazigrößen oder andere Verbrecher der Geschichte zu kurz, denn hinter dem beschriebenen Erkenntnisgewinn über die eigene Schwäche läuft ein zweiter psychologischer Prozess.

Es geht dabei nicht darum, ob Rommel, Hitler, Che Guevara vordergründig „zu nett“ (STERN) oder zu „sympatisch“ (ZEIT) rüberkommen oder gezeigt werden (oder gar die Frage, ob sie es vielleicht wirklich waren), sondern darum, dass jeder menschliche Zwiespalt, in den ein konventioneller Film seine Protagonisten aufgrund seiner dramaturgischen Wesensart zwangsläufig führen muss, jede emotionale Ambivalenz und innere Widersprüchlichkeit dazu beiträgt, dass die Figuren vom Zuschauer emotional Stück für Stück von ihrer (historischen) Schuld freigesprochen werden – sie haben die Dinge ja gar nicht als „böse Menschen“ getan. Soziologisch und psychologisch sind das grundsätzlich sicherlich richtige und spannende Gesichtspunkte (auch oder gerade für filmische Bearbeitung), in Anbetracht der historischen Schuld realer Figuren dennoch brandgefährlich.

Wir neigen dazu, demjenigen zu vergeben, der uns sein menschliches Gesicht zeigt. Zumindest fällt es schwerer, ihn zu verurteilen, wenn man in Zwiespälte, Motivik und Menschlichkeit blicken kann.
Sich während der Szene des „Untergang“, in der Hitler wie ein zufriedener Großvater die Goebbelskinder auf dem Schoß hat und sich von ihnen vorsingen lässt, in Erinnerung zu rufen, dass dieser Mann für den Tod von 6 Millionen Juden verantwortlich ist, wird angesichts der Identifikation und Empathie, die in der Rezeption eines dramatischen Films unausweichlich einsetzen sowie der emotionalen Entlastung, die die Figur „Hitler“ in diesem Moment erfährt (wenn überhaupt) nur in einem aktiven, rationalen Prozess geschehen können, der nicht mehr automatisch und emotional abläuft, sondern eine Willensanstrengung bedeutet. Der Akt der inneren Abgrenzung kann (für den Moment) nicht mehr gefühlt, sondern höchstens noch „erdacht“ werden. Hier liegt für mich die größte Gefahr, die mit der fiktiven Annäherung an historisch reale Täter verbunden ist.
Da sich ein dramatischer Film naturgegeben (wie differenziert oder undifferenziert auch immer) mit der Innenwelt seiner Figuren auseinandersetzt, entsteht hier eine irrationale gefühlte Entschuldung, die zwar dem, was eine historische Person empfunden haben mag und was von Biografen und Historikern auch so benannt werden darf, durchaus nahekommen kann, im von Grund aus empathischen Medium Film jedoch die grundsätzlich falsche „gefühlte Moral“ erzeugt, die in der empathischen und ausschnitthaften Darstellung des Films einer Absolution gleichkommt. Einer Absolution für Menschen, die keine Absolution erhalten können und in unserer Gesellschaft auch niemals erhalten dürfen.
Eine – wenn auch nur (unbewusst?) gefühlte – Vergebung, Relativierung oder ein Verständnis darf es in diesem Zusammenhang niemals geben. Lieber muss der Prozess der Vergegenwärtigung des Umstands, dass es sich bei den Nazis um „ganz normale“ Menschen gehandelt hat ein bewusster, rationaler bleiben, als dass eine Gesellschaft beginnt, den Tätern „emotional“ zu vergeben, weil ihnen der Bildschirm oder die Leinwand zu oft das menschliche Gesicht (hier ja tatsächlich das Gesicht von Schauspielern, zu denen ohnehin aus anderen Zusammenhängen eine Sympathie bestehen kann) zeigt.

Eine moralisch richtige Darstellung zeitgeschichtlicher (Nazi-)Verbrecher als Hauptfiguren kann es daher nur abseits dramaturgisch genormter, mit Empathie, Identifikation und Fiktionalisierung arbeitender Spielfilme geben.

2 Kommentare:

  1. Das Widerliche ist ja, dass das „Böse” in diesen Bio-Dramen sozusagen zur Veredelung zum Einsatz kommt, mit Nougat im Abgang. Aus dem Abgrund unserer Geschichte wird Besitz, wird Konfekt, das man weltweit verkaufen kann. Grundsätzlich glaube ich kann man alles filmen, auch Täter-Biografien. Aber dafür müsste man andere ästhetische Entscheidungen treffen. Und die wären notwendig unpopulär. Christoph

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  2. Unpopulär und daher im deutschen Fernsehsinne unfunktional. Das ist aber in diesem Zusammenhang nicht nur schade, sondern auch äußerst problematisch. Der kleinste gemeinsame dramaturgische Nenner ist hier eben fatal.


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