William H. Macy in "Boogie Nights" (P. T. Anderson, 1997) |
Am Ende von „The Departed“ (2006) wird der Protagonist durch einen Kopfschuss getötet; in seiner Stirn tut sich ein Loch auf und ein blutiger Fleck spritzt an die Wand des Fahrstuhls hinter ihm.
Im Piloten der Serie „Boardwalk Empire“ (2010) wird ein wehrloser Mann mit einem gezielten Kopfschuss aus einer Schrotflinte getötet. Man sieht seinen halben Kopf wegplatzen.
In beiden Fällen hat sich mir diese Explizitheit nicht erschlossen. Ich habe nie begriffen, wozu der Film es braucht, dass der Zuschauer Costigans (Leonardo DiCaprios) Gehirn an die Fahrstuhlwand verspritzen und es auch in weiteren Einstellungen als blutigen Fleck die Wand hinab laufen sieht
Beide Male fand ich die Darstellung der Tötungen verabscheuungswürdig. Die augenscheinliche Lust und die Form, in der Martin Scorsese diese Art von Gewalt inszeniert, sind mir unerträglich.
Warum?
Gewaltdarstellung im Spielfilm ist grundsätzlich prekär. Verbunden mit den ganz grundsätzlichen (berechtigten oder unberechtigten) moralischen und geschmacklichen Bedenken gegenüber Gewalt ist für einen Film die entscheidende Frage bei der Legitimation von Gewaltdarstellung immer auch eine formale.
Im Film gezeigte Gewalt bleibt immer künstlich, sie ist notwendigerweise (Spezial-)Effekt. Das siedelt den Einsatz von Gewaltdarstellung mehr als andere filmische Mittel auf einem schmalen Grat zwischen erzählerischer Notwendigkeit und narzisstischem, verspieltem, buchstäblich „effekthascherischem“ Schauwert an. Explizite Gewaltdarstellung steht stets im Verdacht, lediglich - ohne erzählerischen Mehrwert gegenüber anderen Darstellungsformen - als Publikumsschocker zu dienen.
Natürlich ist es legitim drastische Mittel zur Vermittlung von Inhalten oder Emotionen einzusetzen. Und selbstverständlich kann explizite Darstellung von Gewalt dieses legitime Mittel sein.
Sobald eine andere Darstellungsform jedoch ebenso im Dienst der Geschichte funktioniert hätte, und Gewalt lediglich um ihrer Drastik und deren Reaktion willens eingesetzt wird, ist sie billige Jahrmarktsattraktion.
Ein Bespiel hierfür ist die Vergewaltigungsszene in „Irréversible“ (Gaspar Noé, 2002). Bis zu einem bestimmten Punkt ist sie eine Szene packender Intensität. Doch durch die schlichte Länge, durch das exzessive „starren“ des Films wendet sie sich von ihren Figuren, der Geschichte, ihrer Emotion ab und wird von einem wichtigen Punkt für die Dramaturgie des Films und die Motivation seiner Figuren zu einer direkten und ausschließlichen Hinwendung zum Zuschauer, bei der es nur noch um eine absurde Lust geht, den Betrachter zu verstören und ihm dies länger als für den Film nötig zuzumuten.
(Gezielte) Kopfschüsse sind bereits in sich eine besondere Form von Gewalt, da sie immer mit einem Statement verbunden sind: Kopfschüsse sind Zeichen von Zielgerichtetheit, sie zeugen von Präzision und kalter Brutalität, sie sind gnadenlos, grausam und entwürdigen das Opfer.
Es gibt Situationen, in denen ein Film genau diese Merkmale braucht, es kann sein, dass es dramaturgisch nicht ausreicht, eine Figur einfach nur zu töten, sondern dass ihr in den Kopf geschossen werden muss. Und es mag überdies Gründe dafür geben, dies auch zu zeigen.
Doch es gibt deutliche Unterschiede in der Art, einen Kopfschuss zu inszenieren. Die verabscheuungswürdigste Form der Darstellung ist ein Kopfschuss in einer Nahen, in der die Figur vor einer Wand steht, auf die das Hirn in blutigem Brei spritzt.
Diese Art der gezeigten Gewalt ist nicht nur lediglich Effekt, sie ist noch dazu ein billiger Effekt. Sie ist leicht zu produzieren, sie ist ebenso leicht als Effekt zu enttarnen und in ihrer Herstellungsweise und Künstlichkeit selbst von Laien zu durchschauen. Sie reicht also nicht mal für ein eitles Zurschaustellen produktionstechnischer Mittel.
Und auch das zu erzielende Resultat ist billig - Schreck und Brutalität dieser Darstellung mögen noch berechtigt sein, ihre Wirkung jedoch bezieht sie in exzessiver Obszönität aus den Mechanismen des Splatter- und Slasherfilms – ihre Ekelhaftigkeit schreit den Zuschauer an, plump in ihrem Anliegen und stumpf in der dramaturgischen Schlagkraft.
Wenn es um die Vermittlung der Krassheit, Radikalität und Brutalität geht, mit der der Tod eintritt, muss man sich nur Elephant (Gus van Sant, 2003) anschauen um zu erkennen, dass es andere Mittel und filmische Strategien gibt, Tötungsszenen Kraft und Eindringlichkeit zu verleihen – obwohl der größte Teil der realen Opfer des Massakers von Littleton, auf das van Sant sich bezieht, durch gezielte Kopfschüsse getötet wurde und deren Einsatz im Film so immerhin noch mit dem Verweis auf Authentizität hätte begründet werden können, ist in Elephant kein einziger Kopfschuss zu sehen. Die Wucht des Films, des Schreckens und der willkürlichen, sinnlosen Brutalität der Taten und des Todes wird dadurch aber nicht im Geringsten geschmälert.
Explizit gezeigte Kopfschüsse sind geschmacklose Tricks, sie zwingen den Zuschauer dazu, Gaffer zu werden, der Tod einer Figur wird zum gruselig-ekligen Spektakel, dass seine Wirkung aus etwas bezieht, was nicht Teil der notwendigen Vermittlung ist, sondern einer Lust am Effekt entspringt. Das ist würdelos. Für die Figur, für den Film, für den Filmemacher.
Trotzdem finden sich immer wieder Beispiele bei (ansonsten) ernstzunehmenden Regisseuren wie Martin Scorsese oder Paul Thomas Anderson.
In brillanten Filmen sind sie geschmackliche und stilistische Ausrutscher, tumbe, unoriginelle Momente, die mich an die infantilen Posen unreifer Amateurfilme erinnern. Kids with guns.
Warum?
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AntwortenLöschenDa Refn den Preis sicherlich wegen anderer Dinge als zerplatzender Köpfe bekommen hat und das somit als Argument ausscheidet, würde mich - im Sinne der Debatte - vielmehr interessieren, welche stichhaltigen Argumente du für die Darstellung von Kopfschüssen in der o.g. Form hast.
AntwortenLöschen"Wenn du dein richtiger Mann bist..." greift mir da nämlich irgendwie noch ein bisschen zu kurz...
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AntwortenLöschen