Montag, 7. November 2011

Rebellion?

Thomas Brasch und Franz Josef Strauß

In Christoph Rüters essayistischem Dokumentarfilm „Brasch - Das Wünschen und das Fürchten“ gibt es eine Szene, in der Thomas Brasch für seinen Film „Engel aus Eisen“ vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß mit dem Bayerischen Filmpreis 1981 ausgezeichnet wird. Brasch – linker Schriftsteller, Dichter und Filmemacher, der wenige Jahre zuvor aus der DDR emigriert war – kommt auf die Bühne und der Preis ist völlig nebensächlich für ihn – fast scheint es, er will ihn gar nicht von Strauß annehmen, so sehr drängt es ihn, eine Begründung abzugeben, in der er die, in seinem Umfeld stark umstrittene Annahme des Preises aus Strauß’ Händen erklärt. Durch seine Rede kommt es beinahe zum Eklat – offen spricht Brasch seine politische Differenz zu Strauß und seine generelle Opposition zum Staat sowie seine Bedenken, die mit der Annahme des Preises verbunden sind, aus.

Dieses Eintreten für eine politische Haltung hat mich tief beeindruckt. Da ist ein Filmemacher, der ein Anliegen auch jenseits seines Filmemachens hat und dies ganz unabhängig von den eventuellen Folgen für eben dieses Filmemachen formuliert.
Dort hat ein Filmemacher eine politische Haltung, die so ernst ist, dass sie es nicht nur erfordert, die Annahme eines Preises von einem politischen Gegner scharf zu diskutieren und zu rechtfertigen, sonder die darüber hinaus den Drang und Mut hervorbringt, öffentlich für sie einstehen zu müssen auch unter Inkaufnahme der Beschädigung seines Images bei Zuschauern, Sendern, Förderern und Regierung.

Ich habe mich gefragt, warum ich kein Statement ähnlicher Kraft und mit ähnlichem Mut zum Eklat, geäußert an ähnlicher Stelle, von einem zeitgenössischen Filmemacher geschweige denn einem Filmemacher der jungen Generation, kenne.

Die lapidare Antwort: „Die Zeiten sind halt anders“ ist mir hier nicht genug. Braschs Rede liegt über 30 Jahre zurück, doch liegt mir eine revoluzzerhafte Nostalgie in diesem Zusammenhang fern - zu aktuell ist Braschs Anliegen.

Brasch verortet sich und die Kunst allgemein im Widerspruch zwischen dem anarchischen Anspruch, in der eigenen Arbeit subversiv den Staat anzugreifen und dies gleichzeitig mit dem Wohlwollen und Geld des Staates, gleichermaßen als „Komplize der Macht“ zu tun. Es ist für Brasch „der Widerspruch der Künstler im Zeitalter des Geldes schlechthin“.
Und er sieht dieses Zeitalter im Widerspruch „zwischen dem Zerfall der Ordnung, die Staat heißt und ihrem wütenden Überlebenskampf“. So wird spätestens mit Blick auf die „Eurokrise“ deutlich, dass auch Braschs – in seiner Opposition zu Strauß formulierte - politische Haltung nichts von ihrer Bedeutung verloren hat.

Doch offenbar sind „die Zeiten“ tatsächlich anders, denn obwohl es immer noch genug gibt, an dem man sich als Filmemacher politisch – auch Branchen- und Kulturpolitisch – reiben muss, scheint niemand mehr das Anliegen haben zu können, dies auch lautstark und an wirkungsvoller Stelle zu formulieren. Vor allem niemand vom Nachwuchs, wenn man bedenkt, dass Marcel Reich-Ranicki bei seiner Ablehnung des Fernsehpreises 2008 88 Jahre alt war.
Mir geht es gar nicht darum, zu bezweifeln, dass der einzelne Filmemacher sehr wohl eine politische Haltung haben kann und auch sicherlich bereit ist, die im kleinen Kreise auszubreiten – mir geht es um die Frage, wo die Courage zum Eintreten für diese Haltung im Zusammenhang mit filmischer Öffentlichkeit und dennoch jenseits der filmischen Arbeit geblieben ist. Ich frage mich, wie es dazu kommt, dass sich offenbar niemand mehr traut oder genötigt fühlt, berechtigte und wichtige Positionen durchaus auch mal polemisch zu äußern oder radikal zu vertreten.

Selbst im Zusammenhang mit einem Film wie „Deutschland 09“, der sich so politisch gibt (ohne dabei jedoch bis auf einige wenige lichte Momente Mut zu zeigen oder von einem ohnehin bereits formulierten Konsens abzuweichen) wird von den Beteiligten keine politische Haltung formuliert, die Diskurs ergeben könnte.

Filmemacher mit filmischer Haltung zu finden, die sich formal und inhaltlich nicht doch auf reaktionäre Modelle zurückführen lässt, scheint heute schwierig genug zu sein. Filmemacher mit politischer Haltung noch viel schwieriger. Und Filmemacher, die für ihre politische Überzeugung einstehen? Gefälligkeit findet längst nicht mehr nur im Medium selbst statt.

Ist es möglich, dass sich der Filmnachwuchs – die Filmmacher der Generation zwischen 25 und 40, diejenigen, die gerade aus einem studentischen, und schon deswegen eigentlich für Haltung prädestinierten, Umfeld kommen, vollends zu „Komplizen der Macht“ gemacht haben?

Natürlich kann Reich-Ranicki getrost den Deutschen Fernsehpreis verweigern. Das beschädigt seine Karriere nicht mehr.

Und liegt vielleicht genau hier der Grund für politische Passivität? Hat sich meine Generation von Wohlstandskindern vollends angepasst an eine Gesellschaft, in der man mit Businesstalk statt Meinung punktet, in der mehr über Preise als über Inhalte gesprochen wird, in der jedes Skandälchen nur noch Publicityinstrument ist? In der man weiß, dass Karriere davon abhängt, sich dem Mainstream zu ergeben? Führt das permanente Sich-Bewegen auf sender-, förderungs-, finanzierungs-, kultur- und marketingpolitischem Terrain, welches man heutzutage bereits an der Filmhochschule beigebracht bekommt, dazu, dass Filmemacher gelernt haben, sich politisch unkenntlich zu machen um überhaupt noch Filme machen zu können? Ist im ganzen Taktieren und Manövrieren der Mut zum Positionieren abhanden gekommen? Haben wir grundsätzlich gelernt, auf eine Meinung zu verzichten um vorankommen zu können?
Und muss das so sein?

Musiker und bildende Künstlern scheinen hier noch weniger Schwierigkeiten zu haben. Aber vielleicht liegt das weniger am Anliegen, als daran, dass ihnen der „Rückzug in eine privatisierende Kunstproduktion“, den Brasch als eine vermeintliche „Lösung“ des Widerspruchs anbietet, leichter fällt, weil ihre Produktionsweisen weniger Geld benötigen? Haben sich die Filmemacher mundtot machen lassen von Sender- und Finanzierungspolitik und sich so den Zugriff auf Gegenwartspolitik entzogen? Hat Film, als Medium, das per se abhängig von Kapital ist, grundsätzlich seinen Zugriff auf sie eingebüßt, schlicht weil er ihn sich nicht mehr leistet?

Oder handelt es sich nicht mal mehr um einen Widerspruch, der ja immerhin noch eine politische Dimension von (inneren) Auflehnung bedingen würde, sondern sind wir am Ende einfach eine Generation, die nur noch gefallen will, inkl. selbstkreiertem Image auf Facebook und der obligatorischen Homepage? Haben wir uns eine Gefälligkeit so sehr zu Eigen gemacht, dass sie Sehnsucht nach etwas anderem schlicht nicht mehr existiert? Sind selbst wir jungen Filmemacher, die ja doch immer noch für sich in Anspruch nehmen offen und wach zu sein, doch nur hoffnungslose Kinder jener ichbezogenen Generation Y, die letztlich nur auf ihr eigenes Auskommen schaut?

Und wären nicht beide Optionen – die unterdrückte Courage und das verlorene Bedürfnis zur Courage – furchtbare Perspektiven für den zu erwartenden filmischen Output?

Ich fordere gar nicht mehr politischen Inhalt im Sinne einer thematischen Auseinandersetzung mit Politik. Aber ich wünsche mir von Filmemachern, die in ihrem Schaffen bestenfalls ohnehin eine Zustandsbeschreibung der Welt liefern (wollen), dass sie ihre Sicht auf die Welt auch in ihrer Rolle als öffentliche Person – jenseits des Films – mitunter vielleicht auch polemisch vertreten würden; das sich Filmemacher nicht nur als „Film-Schaffende“ sondern ebenso als Menschen mit Meinung und Haltung (auch) in politischen Zusammenhängen begreifen und formulieren würden. Das wird uns die Angepassten nicht ersparen, aber es würde ihnen eine Opposition entgegenstellen.

Ich wünsche mir im deutschen Film eine Streitkultur. Grundsätzlich natürlich gerne durch und über mehr Filme mit Haltung, aber auch, dass sich eine Streitkultur aus den Haltungen der Filmemacher jenseits des Filmischen nährt und auch dort stattfindet.


Brasch - Das Wünschen und das Fürchten
Deutschland, 2011
Länge: 90 Min.
Regie: Christoph Rüter
Produktion: TAG/TRAUM Filmproduktion
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 03.11.2011







2 Kommentare:

  1. Hallo Halbnah,
    sehr spannender Blog,
    den ich verfolgen möchte...

    Ich bin auch ein recht frisch gebackener Filmstudent, insofern am diskurs interessiert:
    Ein zitat von dir:


    "
    Oder handelt es sich nicht mal mehr um einen Widerspruch, der ja immerhin noch eine politische Dimension von (inneren) Auflehnung bedingen würde, sondern sind wir am Ende einfach eine Generation, die nur noch gefallen will, inkl. selbstkreiertem Image auf Facebook und der obligatorischen Homepage? Haben wir uns eine Gefälligkeit so sehr zu Eigen gemacht, dass sie Sehnsucht nach etwas anderem schlicht nicht mehr existiert? Sind selbst wir jungen Filmemacher, die ja doch immer noch für sich in Anspruch nehmen offen und wach zu sein, doch nur hoffnungslose Kinder jener ichbezogenen Generation Y, die letztlich nur auf ihr eigenes Auskommen schaut?

    Und wären nicht beide Optionen – die unterdrückte Courage und das verlorene Bedürfnis zur Courage – furchtbare Perspektiven für den zu erwartenden filmischen Output? "

    Ich glaube das sehe ich ähnlich,
    und ich bin Jahrgang 88, vielleicht ein Generationsempfinden? Das wäre doch mal wohlig:
    Ich habe einen Dokumentarfilm gemacht, er heißt:
    "Facebooks Adorno changed my life"

    www.georgboch.tk

    Wenn du ihn sehen möchtest schreibe mir doch eine mail: adresse gibts auf der "homepage".

    Übrigens glaube ich das der Begriff des "Rückzuges in eine Privatisiernde Kunstproduktion"
    im Jahre 2011 völlig veraltet ist.

    Würde mich freuen
    Georg

    AntwortenLöschen
  2. Ich erlebe im Gegenteil, dass Kunstproduktion in Zeiten von günstigsten Herstellungsbedingungen immer privater wird - und vielleicht liegt hier, anders als zu Braschs Zeiten, sogar eine Chance, die etwas mit Demokratisierung von Kunst durch das Internet als ein öffentlicher Raum zu tun hat, der eine Distribution aus dem privaten Atelier heraus ermöglicht - nie zuvor war es so vielen Menschen möglich, Kunst zu machen und zu verbreiten.

    Kunst ist eben immer weniger - im Filmbereich noch am meisten - an (öffentliche) Gelder gebunden. Andererseits scheinen Produktionsformen, die mit immer weniger öffentlichem Geld auskommen unabdingbar, wird man doch das Gefühl nicht los, dass auch immer weniger öffentliches Geld zur Verfügung steht.
    Und jenseits von Film ist privates Kapital ohnehin längst (oder schon immer?) die Haupteinkommensquelle des Kunstmarktes.

    AntwortenLöschen